Missbrauch: Passiv aggressives Verhalten
Wenn ein Mensch sich passiv aggressiv verhält, ist das eines der deutlichsten Anzeichen dafür, dass da etwas mit ihm nicht stimmt. In diesem Fall solltest du einen Schritt zurücktreten und die rosa Brille abnehmen, falls du sie noch auf der Nase hast. Passive Aggression ist immer ein ganz schlechtes Zeichen. Unter den Persönlichkeitsstörungen befindet sich auch die passiv aggressive Persönlichkeitsstörung, die nichts mit Narzissmus zu tun haben muss, aber häufig weitere, narzisstische Verhaltensweisen mit sich bringt. Letztlich ist passiv aggressives Verhalten aber auch ein Merkmal der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Ja, was denn nun? Das kann uns egal sein. Ich weise immer darauf hin, dass wir keine Diagnosen stellten sollten, denn die sind Fachleuten vorbehalten. Allerdings ist Information alles und daher sollte man passiv aggressives Verhalten schon erkennen können.
Wohin ist der Charme verschwunden?
Auch ein Beziehungspartner, der sich passiv aggressiv verhält, war irgendwann einmal in der Eroberungsphase. Wahrscheinlich hat sich dieser Mensch in der Anfangszeit von seiner charmantesten Seite gezeigt, war liebevoll, aufmerksam und einfühlsam. Dann vergeht etwas Zeit, er/sie hat PartnerIn mehr oder weniger sicher. Und dann geht es los mit den diversen Anzeichen. Insbesondere bei verdeckten Narzissten verändern sich die Dinge schleichend, sodass Beziehungspartner vielleicht das eine oder andere Mal ins Stutzen kommen, sich fragen, warum sich Dinge nun so komisch anfühlen, die vorher ganz anders waren. Man erklärt es sich aber selbst in der Regel mit der nächsten Beziehungsphase und damit, dass sich Dinge eben verändern. Bis sie krankhaft werden.
Die ersten Anzeichen
Zu passiv aggressivem Verhalten gibt es meist schon zu Beginn einer Beziehung Auffälligkeiten, die komplett übersehen werden. Wenn du jemanden kennenlernst, achte auf solche Anzeichen. Sie sind anfangs wirklich kaum sichtbar. Aber alles, wodurch in deinem tiefsten Inneren das Gefühl entsteht, dass dieser Mensch immer oder zumindest oft Dinge nicht wahrnimmt oder gar boykottiert, die für dich wichtig sind, für alles aber Ausreden hat, ist etwas, was du dir näher anschauen solltest. Oft werden nicht mal Ausreden benutzt, sondern ganz subtil klar gemacht, dass es gar nicht anders ging. Dinge werden vergessen oder es kam einfach was dazwischen, was nicht vorhersehbar war. Und zwar immer dann, wenn es um etwas geht, das für dich wichtig wäre. Und, machst du mit? Findest du immer wieder Entschuldigungen für all das, was dir wichtig wäre und was durch diesen Menschen boykottiert wird? Oder wehrst du dich von Anfang an dagegen und erstickst die Sache im Keim? Tust du das nicht, kommt Phase 2. Es gibt aber keine Garantie dafür, dass Phase 2 nicht auch kommt, wenn du die Anfänge im Keim erstickst. Wenn da nämlich eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, kann es gut sein, dass du später trotzdem die geballte Ladung abkriegst – meist geht das dann zu einem Zeitpunkt los, an dem du nicht mehr so einfach aus der Nummer herauskommst.
Phase 2: Ich will nicht
Ob narzisstische oder passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, es gibt immer eine Phase 2. Jetzt bekommst du deutlich gezeigt, dass dieser Mensch nicht will. Das kann intime Nähe betreffen, die plötzlich verweigert wird. Es kann sein, dass jede Form von Zärtlichkeit abgelehnt wird und einfach nicht mehr stattfindet. Der Mensch ist immer müde, leidet immer unter Stress oder sonstigen Dingen, oder hat so viel um die Ohren, dass er/sie einfach nicht kann, was auch immer du erwartest.
Dinge, die klar kommuniziert und sogar schon in die Wege geleitet wurden, finden einfach nicht statt. Klar hattest du die Idee, das Konzert zu besuchen, aber dein Partner war ja auch ganz begeistert. Also hast du die Karten besorgt. Und die kannst du dann in die Tonne kloppen, weil dieser Mensch einfach nicht erscheint. Der steht nämlich auf der Autobahn im Stau, muss länger arbeiten oder hat auf dem Weg zu dir noch jemanden getroffen, und die Zeit vergessen. Passiv aggressives Verhalten kommt immer unterschiedlich daher und hängt natürlich mit den individuellen Lebenssituationen und Bedürfnissen von Partnerinnen und Partnern zusammen. Aber man darf auch die verschiedenen Ausprägungen nicht vergessen.
So mancher passiv aggressive Mensch erledigt alle möglichen Kleinigkeiten, die nicht der Rede wert sind und selbstverständlich sein sollten, um dann die ganz großen Dinge zu boykottieren, die dir wirklich unglaublich wichtig sind. Und sprichst du einen solchen Menschen darauf an, wird er dich darauf hinweisen, dass er ja sonst allen Dingen nachkommt, die ihr vereinbart oder verabredet habt. In anderen Fällen treibt dich ein passiv aggressiver Mensch mit vielen, vielen Kleinigkeiten in den Wahnsinn, die er einfach vergisst, verliert, verschlampt, verschusselt, während er bei den großen Dingen voll da ist. Dann wirst du über seine Schusseligkeit aufgeklärt, wenn du das ansprichst, und darauf hingewiesen, dass dieser Mensch doch immer da ist und immer mitmacht, wenn es für dich so richtig zur Sache geht. So oder so sind Partner und Partnerinnen von passiv aggressivem Verhalten häufig irritiert. Die Ausreden klingen immer glaubhaft, und dann ist da dieser treudoofe Blick oder auch die Tränchen, die sich derjenige dann mal theatralisch wegwischt, wenn du meinst, jetzt wäre es mal Zeit, um Tacheles zu reden. Fühlst du dich also irritiert, schau genauer hin!
Die Verweigerung von Nähe kann auch den sexuellen Bereich betreffen, indem Partner oder Partnerinnen Formen von Sexualität praktizieren wollen, die den anderen auf Distanz halten, sie/ihn entpersonalisieren und zum Objekt degradieren. Oder der passiv aggressive Mensch lässt sich einfach bedienen, ohne sich um die Bedürfnisse von Partner oder Partnerin zu kümmern.
Demenzartige Schusseligkeit
Im gemeinsamen Leben vergisst und boykottiert ein passiv aggressiver Mensch alles, was dem Partner irgendwie wichtig ist und gerne auch den Geburtstag. Durch die passive Art (vergessen, verlieren, vermeiden, verstoßen, verschwinden) entzieht er sich einfach. Aber er kann auch anders. Er (oder sie!) kann verbale Faustschläge austeilen und wird dann ungerecht, macht sein Gegenüber für alles verantwortlich, was in seinem Leben schief läuft, was er nicht geregelt bekommt. Partner werden auf diese Weise auch für die eigenen Bedürfnisse eingespannt, denn so ziemlich jeder fängt an, Dinge zu übernehmen, auch zusätzliche Aufgaben und Verantwortungsbereiche, wenn er merkt, dass Partner oder die Partnerin das nicht gebacken bekommen.
Menschen mit einer passiv-aggressiven oder narzisstischen Persönlichkeitsstörung wünschen darüber hinaus ständige Aufmerksamkeit, Dienstbereitschaft und Liebesbekundungen, aber auch nur, um sie letztlich von sich zu weisen und dann zu unterstellen, du würdest sie vernachlässigen, nicht lieben, nicht beachten.
Passive Aggression par excellance ist das eisige Schweigen, das man auch als „Silent Treatment“ bezeichnet: Ein wirklich eiskaltes Schweigen, ein absolutes Ignorieren von Partnerin oder Partner, das sich über Stunden, Tage oder sogar Wochen hinziehen kann, und jeden normalen Menschen in die totale Verzweiflung stürzt – und das ist so gewollt. Wenn sich passive Aggressivität durch Silent Treatment zeigt, ist das eine Strafe für den Partner oder die Partnerin. Eine Strafe für etwas, worüber ein passiv aggressiver Mensch nicht reden will oder nicht reden kann, denn passiv aggressive Menschen sind auf jeden Fall völlig unfähig, einen Konflikt auszutragen. Daher schweigen und ignorieren sie lieber, wenn sie in ihrer Störung stark ausgeprägt sind. Das gab es schon immer, früher nannte man das einfach nur „Liebesentzug“. Es kann sogar sein, dass er dich für die Distanz bestraft, die er selbst erschaffen hat. Mit diesem Verhalten erhöht dieser Mensch sich selbst und wertet dich ab. Du fühlst dich gemaßregelt, gedemütigt und degradiert und das ist auch genau das, was da passiert.
Aggressives Verhalten durch unterlassen
Passiv-aggressives Verhalten wird so bezeichnet, weil durch Nichtstun Aggression ausgelebt wird. Dinge werden einfach vergessen, nicht erledigt, völlig unterlassen, und das kann alle Ebenen der gemeinsamen Lebens betreffen: Finanzielle Bereiche, Beteiligung an der Hausarbeit, totale Gleichgültigkeit, Desinteresse, wenn Partner oder Partnerin etwas erzählen, was sich auch durch in den Fernseher oder ins Handy starren zeigt. Ein passiv aggressiver Mensch unternimmt in den schlimmsten Phasen nicht mal die leiseste Anstrengung, dem Menschen an seiner Seite ein gutes Gefühl zu geben, ihm Zuwendung, Aufmerksamkeit oder etwas Liebe zu schenken. Dieser Mensch tut im Prinzip einfach nichts, und genau darauf wird er hinweisen, wenn man ihn auf sein Verhalten anspricht. Er/sie hat doch gar nichts gemacht. Hat doch nur was vergessen, stand unter Stress, konnte nicht, war verhindert, fühlte sich nicht wohl, hat auf jeden Fall immer eine Ausrede.
Warum ist das so und was kann man tun?
Im Prinzip kannst du nichts oder nicht viel tun. Laut Scott Wetzler, Psychologe und Autor des Buches „Warum Männer Mauern“, hat der passiv aggressive Mensch große Probleme mit seiner Kindheit. Er will sich nicht unterwerfen. Aber er will auch nicht alleine sein. Er fühlt sich schnell einsam und zurückgestoßen, obwohl er eigentlich weiß, dass er selbst unzulänglich ist. Tritt das passiv aggressive Verhalten im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung auf, hat er wahrscheinlich schon früh gelernt, anderen Menschen den perfekten Menschen vorzuspielen und vergisst seine eigenen Unzulänglichkeiten darüber ganz gerne mal. Verdrängt sie vielleicht auch. Passiv aggressive Menschen tragen einen inneren Zorn mit sich herum, den sie generell an ihren Partnern auslassen. Man könnte einem solchen Menschen letztlich nur mit viel Verständnis begegnen und ihn da abholen, wo er sich psychisch befindet. Das herauszufinden ist allerdings äußerst schwierig und auch überhaupt nicht ratsam, wenn einem etwas an der eigenen psychischen Gesundheit liegt. Bringt man nämlich immer wieder Verständnis auf, heißt das gleichzeitig auch, dass man sich selbst immer wieder vertröstet, Entschuldigungen findet und eigene Bedürfnisse mehr und mehr verleugnet. Und das bedeutet einen permanenten Missbrauch. Es zwingt dich nämlich dazu, dich ständig mit deinem Partner zu beschäftigen, zerstört dich selbst und ihn rettet es leider auch nicht.
Grenzen setzen ist wichtig bei passiv aggressivem Verhalten. Grenzen, die aber bei einer schweren Ausprägung und bei diversen Persönlichkeitsstörungen, meist nicht akzeptiert und trotzdem überschritten werden. Wahrscheinlich machen gesetzte Grenzen diese Menschen noch aggressiver, und letztlich solltest du eines wissen: Lässt du dich durch diese Verhaltensweisen zum Opfer machen, kannst du diesen Menschen dauerhaft nicht halten, denn er verliert den Respekt vor dir, falls er überhaupt jemals welchen hatte. Lässt du dir das Verhalten nicht gefallen, wird ein solcher Mensch allerdings schnell weiterziehen. Daher solltest du Grenzen gleich zu Anfang setzen und deutlich machen, dass auch deine Bedürfnisse wichtig sind – und du passiv aggressives Verhalten nicht hinnimmst. Es könnte dir eventuell die Hölle einer missbräuchlichen Beziehung ersparen. Wichtig ist, dass du, spürst du solches Verhalten schon zu Anfang einer Beziehung, noch mal einen Schritt zurücktrittst. Nicht nur Grenzen setzt, sondern dir auch Zeit lässt für eine Entscheidung, die euer weiteres, gemeinsames Leben betreffen. Und zwar sehr viel mehr Zeit, als du es normalerweise tun würdest.
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