Infos für Angehörige und Freunde: Depressionen
Aus aktuellem Anlass möchte ich mich heute einmal dem Thema Depressionen widmen. Angehörige und Freunde wissen oft nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. Häufig lassen sie sich sogar dazu verleiten, mal einen Spruch zu bringen, der vielleicht in ihren Augen lustig ist, die große seelische Not des Betroffenen allerdings lächerlich macht und ihn selbst abwertet. Niemand macht das mit Absicht. Die meisten Menschen denken, gegen Depressionen hilft nur Humor und frische Luft. Das ist leider nicht ganz richtig.
Symptome für Depressionen
Zunächst einmal sollten Angehörige und Freunde sich eines bewusst machen: Bei Depressionen handelt es sich um eine Erkrankung, die sowohl psychische als auch körperliche Symptome mit sich bringt. Die Betroffenen fühlen sich antriebslos und schwach, haben oft nicht einmal genügend Energie um einfachste Dinge zu erledigen. Viele wissen überhaupt nicht, wie sie ihren Tag bewältigen sollen. Negative Gefühle kennt sicher jeder, jedoch bekommt ein gesunder Mensch diese ganz gut unter Kontrolle. Ein depressiver Mensch jedoch fühlt sich diesen Gefühlen hilflos ausgeliefert und hat keinen blassen Schimmer, wie er damit fertig werden soll. Depressive Menschen empfinden sich selbst als nutzlos, als Versager, als Belastung für ihr soziales Umfeld. Die meisten leiden an massiven Schlafstörungen, haben oft kein Interesse mehr an Aktivitäten im Freundes- und Familienkreis. Depressiven fehlt es an Hoffnung für die eigene Zukunft, sie werden von ihrer traurigen Stimmung überrollt und ihnen ist einfach alles zu viel. Sie sind schnell erschöpft. Und es ist übrigens ein weit verbreiteter Irrglaube, dass ein depressiver Mensch nicht hin und wieder auch eine Stimmungskanone sein könnte: Depressionen können in Phasen auftreten, sie können zu verschiedenen Tageszeiten auftreten. Manche Betroffene leiden stets unter einer für das Umfeld kaum spürbaren Depression, die jedoch massiv wird, wenn es einen konkreten Anlass zu Angst, Trauer oder Ärgernissen gibt. Physische Probleme, die typisch für Depressionen sind, machen sich häufig mit Bauchschmerzen, Migräne oder allgemeinen Schmerzzuständen bemerkbar.
Ursachen für Depressionen
Die Ursachen für Depressionen können in einer körperlichen Primärerkrankung liegen. Wenn diese behandelt wird, verschwinden oft auch die Depressionen, weil sie in solchen Fällen „nur“ eine Begleiterscheinung sind. Stoffwechselerkrankungen wie zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen bringen sehr oft Depressionen mit sich. Aber auch Hormonveränderungen aller Art können verantwortlich sein, und davon sind Frauen noch ein Stück weit mehr betroffen als Männer: Schwangerschaft, Geburt, Wechseljahre. Ganz normale Dinge, die Depressionen mit sich bringen können.
Depressionen können aber auch einfach nur seelisch bedingt sein und werden in diesem Fall meist durch eine schwere Lebensphase ausgelöst. Manche Menschen sind sehr widerstandsfähig und machen viele schwere Phasen durch, ohne zu erkranken. Doch auch der stärkste Baum kann mal umfallen. Dass man immer genügend Kraft hatte, mit allem fertig zu werden, heißt noch lange nicht, dass es immer so sein wird. Und ist eine Depression erst mal da, braucht es für den Betroffenen keinen konkreten Anlass, um sich schlecht zu fühlen und die Symptome in aller Härte zu spüren zu bekommen. Das passiert dann von ganz alleine und der Betroffene hat überhaupt keine Kontrolle darüber, egal wie sehr er gegensteuert.
Alle Depressiven versuchen gegenzusteuern
Ich kenne keinen einzigen Menschen mit Depressionen, der nicht sehr lange oder immer noch versucht, dieser Krankheit entgegen zu steuern. Viele Depressive laden sich jede Menge Arbeit oder irgendwelche Projekte für die Freizeit auf, um einfach keine Zeit mehr zum Grübeln zu haben. Mit Schlaftabletten versuchen sie die Schlafstörungen zu überlisten. Manche versuchen, mit Alkohol die Stimmung zu heben. Dieses „Entgegensteuern“ ist allerdings ein Kraftakt und verbraucht eine irrsinnige Energie. Das Ende vom Lied ist allerdings in den meisten Fällen, dass die Depressionen immer schlimmer werden. Andererseits ist es eine typisch menschliche Reaktion, gegen seine Probleme anzugehen. An Depressionen erkrankte Menschen müssen in der Regel erst mal selbst an den Punkt kommen, an dem sie feststellen, dass sie der Grübelei, den Schlafstörungen, den traurigen Gedanken nicht mit Aktionismus entgegentreten können, sondern krank sind und Hilfe brauchen. An diesen Punkt zu kommen, ist allerdings nicht unbedingt eine Erleichterung oder ein erster Schritt. Nur wer gut informiert und bereit ist, offen damit umzugehen, wird sich nun um Hilfe bemühen. Bei den meisten Menschen ist die Feststellung, an Depressionen zu leiden, jedoch der Punkt, an dem weitere Symptome dazukommen, die sie – wieder einmal – versuchen, mit sich selbst auszumachen. Wer an Depressionen leidet, dreht sich oft im Kreis.
Reaktionen aus dem sozialen Umfeld
Wohlmeinende Freunde und Angehörige wissen oft nicht, wie sie mit dem Problem umgehen sollen. Viele halten Depressionen auch für eine Mode-Diagnose, andere schätzen Depressionen als eine vorübergehende Phase ein, bei der man den Betroffenen einfach nur wieder auf schöne Gedanken bringen muss. Und so hören depressive Menschen, wenn sie schon einmal bereit sind, über ihre Erkrankung zu sprechen, häufig Sprüche, Floskeln, die wahrscheinlich überhaupt nicht böse gemeint sind, aber so unnötig sind wie ein Kropf. Fragt man depressive Menschen danach, welche verbalen Reaktionen sie aus ihrem Umfeld kennen, ist das – sehr interessant – fast immer das gleiche.
- Ach was, du brauchst nur ein Hobby
- Du musst mal öfter an die frische Luft gehen, dann geht es dir auch gut.
- Ernährst du dich vernünftig? Sowas hat immer mit der Ernährung zu tun.
- Depressionen? So ein Quatsch. Lass uns mal zusammen ausgehen, uns ordentlich besaufen und dann reden wir mal über deine Probleme, danach geht es dir wieder gut.
- Wie, zum Psychiater sollst du? Rede mit deinen Freunden, dafür hast du sie.
- Das ist alles nur eine Frage der persönlichen Lebenseinstellung.
- Wenn du Depressionen hast, musst du in deinem Leben einfach ein paar Dinge ändern.
- Schaff dir einen Hund an, der bringt dich wieder auf Trab.
- Psychopharmaka? Das macht alles nur noch schlimmer.
- Damit muss man fertig werden, aber du steigerst dich ja auch so rein.
- Jeder hat Probleme, stell dich nicht so an.
- Du darfst dich halt nicht so hängen lassen.
- Dagegen gibt es bestimmt gute Kräuter, oder Vitamine, Mineralstoffe? Da fehlt dir bestimmt was!
Angehörige und Freunde sollten versuchen zu verstehen, dass weder ein lustiger Frauen- oder Männerabend, noch eine Ladung Alkohol, noch ein gutes Gespräch helfen können. Auch Tipps zur Ernährung, zur Veränderung der Lebensumstände sind kontraproduktiv. Ganz schlimm ist allerdings, wenn den Betroffenen ausgeredet werden soll, einen Psychiater aufzusuchen – das ist nämlich der Facharzt, der durchaus etwas dagegen tun kann, und selbst wenn er nur Psychopharmaka verordnet und eine Therapie vorschlägt. Er kann den Erkrankten allerdings auch mal per Krankschreibung für einige Zeit aus dem Verkehr ziehen, um ihm für einen begrenzten Zeitraum Belastungen zu ersparen. Im schlimmsten Fall, wenn Suizidgedanken vorherrschend sind, kann der Psychiater einen depressiven Menschen auch in eine Akutklinik einweisen. Alles was hilft, hilft – und was das sein könnte, kann nur ein Psychiater feststellen. Und das ist ebenfalls schlimm: Wenn den betroffenen Menschen ausgeredet wird, die verordneten Psychopharmaka auch zu nehmen: „Medikamente helfen da nicht, du brauchst einfach nur …“ (mehr Liebe, mehr frische Luft, einen Hund, eine Katze, einen besseren Job, Urlaub …)
Wie geht man richtig mit einem depressiven Menschen um?
Das ist eine große Herausforderung, und je näher man dem Betroffenen steht, umso schwieriger ist es. Allerdings nicht unlösbar. Angehörige, die mit einem an Depressionen erkrankten Menschen zusammenleben, haben es auch nicht leicht, und das kann man ruhig offen aussprechen. Es ist verdammt schwer, wenn der Partner völlig antriebslos ist und man alles alleine erledigen muss. Wenn er/sie nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen oder auch nur die benutzte Tasse in die Spülmaschine zu räumen. Einen Menschen, den man wirklich liebt, ständig trübsinnig zu erleben, zu sehen, wie er/sie vor sich hinstarrt, mitzuerleben, wie dieser Mensch sich nachts herumwälzt und nicht schlafen kann, immer leistungsunfähiger wird – das kann Angehörige an ihre eigenen Grenzen bringen.
Hilfreich ist eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre. Der Betroffene muss wissen, dass er offen mit seiner Erkrankung umgehen kann und nicht verurteilt wird für seine Symptome. Zu erfahren, dass er/sie damit nicht alleine sein muss, Unterstützung bekommt, ist verdammt hilfreich. Der erste Weg sollte der zum Hausarzt sein, mit dem man möglichst offen über das Problem sprechen sollte. Dieser sollte dann im Idealfall eine Überweisung an einen Psychiater ausstellen. Dem Betroffenen dabei zu helfen, hier einen Termin zu vereinbaren, ihn vielleicht sogar zu begleiten, kann sehr, sehr hilfreich sein. Wenn der Psychiater eine Psychotherapie empfiehlt, können Angehörige unterstützend wirken, indem sie behilflich sind, einen Therapeuten zu finden. Denn das ist leider die traurige Realität in Deutschland: Einen Therapeuten findet man nicht einfach so. Manche Betroffene müssen zwanzig, dreißig oder noch mehr Therapeuten abtelefonieren oder per Mail anschreiben, bis sie – meist mit monatelanger Wartezeit – überhaupt einen Termin bekommen. Für einen Menschen mit schweren Depressionen, der oft schon nicht weiß, wie er seinen ganz normalen Tagesablauf bewältigen soll, ist das eine riesige Hürde.
Auf jeden Fall sollten sich Freunde und Angehörige eines klar machen: Diese Erkrankung muss man ernst nehmen, denn sie ist ernst. Hier helfen keine Gespräche unter Freunden, keine Lebensweisheiten und keine humorvollen Bemerkungen. Hier helfen nur Verständnis, Akzeptanz und so viel Unterstützung wie möglich.
Information ist alles
Depressionen sind kein Schnupfen, sie verschwinden nicht einfach wieder, indem man sich ein bisschen warm hält, viel schläft und ein paar Tage nicht arbeiten muss. Es dauert meist schon viel zu lange, bis sie erkannt werden. Ist es aber eine feststehende Tatsache, vielleicht sogar durch eine psychiatrische Diagnose, ist Information alles, ob nun für den Depressiven selbst oder für seine Freunde und Angehörigen.
Beim PAL-Verlag habe ich umfangreiche Informationen gefunden, die ich sehr hilfreich finde. Wer noch keine Diagnose hat und Depressionen vermutet, kann hier auch einen Selbsttest ausfüllen und erhält sein Ergebnis direkt auf der Webseite.