Aus dem Nähkästchen geplaudert – die narzisstische Mutter
Die narzisstische Mutter – es hat mich viele, viele Jahre meines Lebens gekostet, die Zusammenhänge zu verstehen und zu erkennen, was das Grundproblem ist. Als ich noch klein war, dachte ich, ich sei das einzige Kind, das zu Hause solchen Schwierigkeiten ausgesetzt ist wie es bei mir der Fall war. Ich dachte auch über viele Jahre hinweg, dass all diese Schwierigkeiten nur daran liegen, dass ich das Kind aus erster Ehe bin. Und ich glaubte meiner Mutter, die nie vergaß, mir bei jeder Gelegenheit klarzumachen, wie dankbar ich sein sollte, dass sie mich, obwohl ich so schlecht bin wie mein Vater, trotzdem bei sich aufgenommen hat. Ich glaubte auch sehr viele Jahre lang, dass ich meinem Stiefvater dankbar sein müsste, der bereit war, mich unseliges Ding mit durchzufüttern, und das, obwohl mein Vater ja schließlich keinen Unterhalt zahlte.
Mein Vater war ein guter Kerl
Aber das herauszufinden, war mir erst möglich, als ich selbst längst erwachsen war und eigene Kinder hatte. Ich war über zwanzig, als mir klar wurde, dass mein Vater total in Ordnung war – und selbst immer noch unter all dem litt, was er mit meiner Mutter hinter sich gelassen hatte. Leider blieb uns nicht mehr so viel Zeit, denn mein Vater starb, als ich noch keine dreißig war. Ein schwerer Verlust. Und als mir nach seinem Tod ein Ordner mit den geleisteten Unterhaltszahlungen in die Hände fiel, kam es gleich zur nächsten Verletzung, aber was es mit diesem Ordner auf sich hatte, habe ich auch erst viel später verstanden. In diesem Ordner hatte mein Vater sämtliche Belege zu seinen Unterhaltszahlungen gesammelt. Ordentlich wie er in solchen Dingen war, auf einzelne weiße Blätter geklebt. Das letzte Blatt bestand aus einer Gesamt-Aufrechnung. Er hatte den Unterhalt über die Jahre hin addiert – und die Gesamtsumme mit einem Ausrufezeichen versehen. Als ich diesen Ordner fand, fühlte ich mich schon wieder schuldig. So viel Geld hatte ich ihn gekostet? Und wieder mal ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich, das Kind meiner Mutter und meines Vaters, für keinen von beiden wertvoll war. Offenbar war ich für beide nur eine Belastung. Ein paar Jahre später wurde mir klar, dass es meinem Vater niemals um meinen Wert gegangen ist, sondern vielmehr war das seine Sammlung von Beweisen, dass er den Unterhalt immer –und immer pünktlich – geleistet hatte, da meine Mutter stets das Gegenteil behauptete.
Die narzisstische Mutter
Heute weiß ich, dass es nicht nur mir in meiner Kindheit so erging. Nicht nur ich bin bei einer Narz-Mutter aufgewachsen, sondern viele andere auch. Narz-Mütter produzieren Töchter, die anfällig sind für Narz-Männer. Wahrscheinlich sind Söhne von Narz-Müttern auch anfällig für narzisstische Frauen. Wir sind Laien und sollen keine Diagnosen stellen, aber wir kommen überhaupt nicht drumherum, wenn wir verstehen wollen, was uns passiert ist. Und verstehen – so behaupte ich – ist das einzige probate Mittel, um all diese tiefen Verletzungen aufzuarbeiten und die daraus resultierenden Wunden heilen zu lassen. Wenn ich verstehe, was sie warum getan hat, kann ich es einordnen und weiß: Es hat überhaupt nichts mit mir zu tun. Es ist ihre Art. Es ist ihr Charakter. Es ist ihr Stil, mit Menschen umzugehen, auch mit den Menschen, für deren Entwicklung sie Verantwortung trägt. Das macht es nicht besser, was sie getan oder vernachlässigt hat. Ich habe aber begriffen, dass es nicht daran lag, dass ich ein so hässliches, furchtbares, lästiges Kind war, kein wertloses, dummes Stück Sch***. Sie kann einfach nicht lieben, sie konnte es nie und sie wird es niemals können. Sie benutzt. Die narzisstische Mutter benutzt ihre Kinder, um sich selbst zu erhöhen, um Macht zu gewinnen, um mit ihnen anzugeben oder sich über sie beklagen zu können. Hauptsache, sie steht immer schön im Mittelpunkt, ihre Bedürfnisse werden erfüllt und sie können die Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Ich, ich, ich … und nochmal ich
Es ging immer nur um sie. Um ihre Bedürfnisse, um ihre Gefühle, um ihre Ziele, um ihre Pläne. Sie zeigte sich anderen Menschen gegenüber immer liebevoll und aufmerksam, stellenweise sogar recht scheu und unterwürfig. Ich habe so lange gebraucht, um es zu verstehen, dachte ich doch viele Jahre lang, dass es ihr einfach nur an Selbstbewusstsein mangelt und sie sich Freundschaften ebenso erkauft wie Zuneigung. Im Grunde lag ich damit auch richtig, es mangelte ihr an Selbstbewusstsein, so wie es bei Narzissten nun einmal der Fall ist. Die scheue, unterwürfige Art zeigte sich dann, wenn sie sich schwächer fühlte als ihr Gegenüber. Wenn sie es noch nicht so richtig einschätzen konnte. Liebevoll und aufmerksam war sie nur da, wo sie sich etwas davon versprach: Wenn sie mit jemandem befreundet sein wollte – oder wenn sie einen Menschen für sich einnehmen wollte, der in irgendeiner Form wichtig für sie war. Ansonsten verhielt sie sich arrogant, von oben herab und sie hatte niemals ein gutes Wort für andere Menschen übrig, die ihr keine Vorteile brachten.
Du, du, du … und nochmal du
Das habe ich während meiner ganzen Kindheit gehört, aber leider niemals in einem positiven Kontext. Wenn es hieß „du“, dann meinte sie damit, dass ich dankbar zu sein hätte. Dankbar für eine warme Mahlzeit, die ich nicht immer bekam und irgendwann gar nicht mehr. Dankbar für Klamotten, die sie mir besorgte, obwohl es sich dabei meist um aussortierten Kram irgendwelcher Leute handelte, der mir nur selten wirklich passte. Dankbar dass sie mich ertrug, obwohl sie doch bei meinem Anblick immer an meinen Vater – dieses Dreckschwein, wie sie ihn immer nannte – erinnerte. „Du“ hörte ich auch, wenn ich etwas falsch gemacht hatte, und ich machte in ihren Augen eigentlich immer alles falsch. Du hörte ich, wenn es darum ging, mich zu kritisieren oder mir zu verdeutlichen, was für ein dummer und hässlicher Mensch ich bin. „Du“ hörte ich auch, wenn sie mir klarmachen wollte, dass ich auf nichts ein Recht hätte, dass mir nichts gehört und dass ich unverschämt bin, weil ich auf mein Recht beharrte, wenn sie mir wieder mal Dinge weg genommen hatte, um sie zu verschenken und damit irgendwo zu punkten. „Du“ hörte ich auch, wenn sie mich daran erinnerte, was ich ihr schuldete und wie viel ich ihr doch zu verdanken hätte. Und „du“ hörte ich auch, wenn sie mir wieder mal klarmachen wollte, dass ich mir alles nur einbilde.
Ständige on-off-Beziehungen
Die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir war ein ständiges on-off. Es gab Zeiten, in denen sie vorgab, mich heiß und innig zu lieben. Zeiten, in denen sie täglich anrief, mich zu sich einlud, ständig den Kontakt zu mir suchte, und ja …oft auch sehr, sehr anstrengend war, denn am Ende ging es tatsächlich immer nur um sie, ihre Gefühle, ihre aktuelle Lebenssituation. Im Rückblick kann ich sagen, dass wir diese Phasen immer hatten, wenn sie alleine war und sonst niemanden hatte. In diesen Phasen war alles immer sehr anstrengend, denn sie war dann sehr fordernd. Ich musste immer Zeit für sie haben. Das sprach sie natürlich nicht aus, aber sie ließ schon durchblicken, dass sie sehr verzweifelt und einsam ist, und ich momentan ihreinziger Lichtblick bin. Ich kann mich an einen Tag erinnern, an dem sie (schon wieder) anrief, denn in solchen Phasen tat sie das mehrfach am Tag, und ich ihr sagte, ich hätte jetzt keine Zeit, ich müsste dringend … aber es war egal. „Du musst mir jetzt zuhören!“, erfuhr ich. „Ich kann doch nur mit dir sprechen!“ Ach so. Stimmt ja … natürlich nahm ich mir dann irgendwie die Zeit und erst beim nächsten „off“ wurde mir klar, wie viel Energie sie mir geraubt hatte. Wenn man sich im Kontakt mit einem Menschen schwach und kraftlos fühlt und täglich schwächer und kraftloser, ist das ein Alarmzeichen, das mir damals noch nicht klar war. Und trotzdem hatte ich in diesen Phasen immer die Hoffnung, sie könnte sich geändert haben. Sie könnte erkannt haben, wie kalt und ungerecht sie mich immer behandelt hatte. Ich hatte auch die Hoffnung, dass sie irgendwann erkennt, dass ich doch ein wertvoller Mensch bin.
Das „off“ folgte immer auf dem Fuß. Entweder weil sie eine bessere Lösung gefunden hatte als mich, wie zum Beispiel meine Schwester. Oder einen neuen Mann. Das mit dem neuen Mann ist gerade bei ihr immer sehr bezeichnend gewesen, denn sobald es einen Mann in ihrem Leben gab, schloss sie mich wieder aus. Eifersüchtig und kontrollsüchtig wie sie es nun einmal ist, war es ihr am liebsten, wenn der Typ mich erst gar nicht zu Gesicht kriegte. Trotzdem habe ich einige ihrer Männer kennen gelernt. Aber eigentlich immer erst dann, wenn es in der Beziehung kriselte und der Mann gar nicht mehr so wichtig für sie war.
Totaler Kontaktabbruch
Eltern und Kinder sollten sich normalerweise regelmäßig sehen, egal wie alt die Kinder werden. Eltern werden schließlich auch älter und brauchen irgendwann mal Fürsorge. Grundsätzlich geht es aber nicht darum, das ist ja wohl klar. Normalerweise gibt es ein unsichtbares Band, das Eltern und Kinder zusammenschweißt. So will es eigentlich das Leben. Nach der letzten „On-Phase“, die mir brutale Erkenntnisse beschert hat, welche mir aber gleichzeitig geholfen haben, all die Schuldgefühle, all die Ängste und all das Drama aus meiner Kindheit zu verstehen, habe ich mich dazu entschlossen, diesen Menschen – Mutter hin oder her – vollständig aus meinem Leben auszuschließen. Das ist brutal, ja. Das klingt widernatürlich und ist es im Grunde auch.
Aber der Tag, an dem ich mich endgültig und bewusst vollständig von meiner Mutter getrennt habe, war für mich der Tag, an dem meine Heilung begann. Das Ganze ist nun sechs Jahre her und ich bereue keinen Tag ohne sie. Das klingt hartherzig, ich weiß. Aber es war der größte Gefallen, den ich mir selbst tun konnte. Kein Wechselbad der Gefühle mehr. Keine Angst mehr, sie wieder zu verlieren, wohlwissend, dass sie sowieso nie für mich da war. Kein Energievampirismus mehr. Kein Ausspielen mehr gegen meine Schwester, denn auch das war ihr ein Dorn im Auge – wenn meine Schwester und ich uns gut verstanden, uns nah waren. Unerträglich für unsere Mutter. Da musste sie immer dazwischengehen, notfalls mit den übelsten Intrigen.
Ich brauche keine Menschen mehr in meinem Leben, die mir ganz bewusst schaden, damit sie selbst gut dastehen oder es ihnen besser geht. Auch wenn es dabei um die eigene Mutter geht. Falls du, liebe Leserin, lieber Leser, in einem liebevollen Umfeld großgeworden bist, versuch erst gar nicht, das zu verstehen. Das verstehen nur Töchter und Söhne von „Narzissen“.
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